SchnittStelle - 6.-15. August 2021

Ein Produktionscamp zu Partizipation in Kunstprojekten

Partizipation ist und bleibt ein bedeutendes Schlagwort für Kunst, Kultur und Politik. Wir sind uns einig, dass möglichst vielen Menschen möglichst viele Bereiche der Gesellschaft zugänglich sein sollen. Kultur „mit allen" zu machen ist seit ihren Anfängen der Slogan der Soziokultur, der „alle" Menschen nicht nur zum Teilnehmen, sondern auch zum Teilhaben einlädt. Sie wendete den Blick damit ab aus den Institutionen der sogenannten Hochkultur, in denen geniehafte Künstler*innen - zumeist weiße, cis-männliche Künstler - ihre Werke einem konsumierenden und zahlenden Publikum darboten, hin zu einem Kunstverständnis, dass allen Menschen die Schaffung von Kunst und das Gestalten

von Gesellschaft mit Mitteln der Kunst zuspricht. Ein zutiefst demokratischer Blick. Und erfreulicherweise in den vergangenen Jahrzehnten auch in zahlreichen Programmen klassischer Kulturinstitutionen und – aktuell in Wuppertal – in der Konzeption des Pina Bausch Zentrums zu finden. Das Thema „Partizipation" ist nicht neu, aber es ist nach wie vor aktuell.

Wie politisch kann und will Kunst sein? Geht es um die Kunst selber oder um die Strukturen, in denen sie geschaffen wird – oder beides? Fragen die nicht neu, aber so grundlegend für unsere Arbeit und den demokratischen Diskurs sind, dass ich es als notwendig empfinde, sie immer wieder neu zu stellen und unsere vorherrschende Vorstellung zu erweitern.

Rückblick

 

Vom 6.-15. August 2021 kamen 18 Kunst- und Kulturschaffende im Alter von 21 bis 57 Jahren im soziokulturellen Zentrum die börse und fünf Videokonferenzräumen zusammen, um Partizipation in der Kunst und der künstlerischen Zusammenarbeit theoretisch und praktisch zu erforschen. Das Projekt SchnittStelle fand als Hybridformat statt und startete hierarchiearm mit einem Barcamp, in dem alle Beteiligten gemeinsam die Themen der Diskussion festlegten: Wir diskutierten über Freude als Kriterium für Kulturarbeit, Angst und Stress in Gruppenprozessen und Strategien, um Zugänge zu schaffen. Parallel lernten wir uns in gegenseitigen Workshopangeboten in unserem künstlerischen Tun kennen. Vor allem ein Hybridworkshop über textile Trauerarbeit machte deutlich, wie berührend auch digitaler Austausch sein kann. Aus einem Wochenende voller Inspiration entstanden Sonntagabend zwei Gruppen, die für den Rest der Woche zusammen an künstlerischen Formaten arbeiteten. Die Studios der börse, Videokonferenzräume und eine gemeinsame Cloud standen rund um die Uhr zur Verfügung. Im Laufe der Woche entstanden so zwei partizipative Kunstaktionen: DU HAST DIE WAHL lud Passant:innen in ein Ladenlokal zu politischem Austausch ein und die Performance zwischen:welten setze sich spielerisch mit Regeln im öffentlichen Raum auseinander.

Während die Gruppe von DU HAST DIE WAHL schnell die nahende Bundestagswahl als gemeinsames Überthema fand und von da an getrennt an einzelnen Elementen der geplanten Aktion arbeitete, war die Erarbeitung der Performance zwischen:welten von Diskussionen, gemeinsamen Ausprobieren und dem Versuch geprägt, Konsensentscheidungen zu finden. Es ging um eine spielerische Auseinandersetzung mit (unsichtbaren) Grenzen und Verbindungen im öffentlichen Raum, die allen Menschen, auch unabhängig von Alter oder Sprachkenntnissen, zugänglich sein sollte. Am 14. August fanden Passant:innen auf dem Bahnhofsvorplatz mehrere Pappplakate mit geschriebenen und gemalten Befehlen vor, die sich die Performer:innen zuriefen und daraufhin ihre Bewegungen oder Abstände zueinander änderten. Manch eine:r lief einfach durch sie hindurch und war sich vielleicht gar nicht bewusst, gerade Teil einer Performance zu sein. Andere guckten zu. Manche:r machte nach einer ersten Irritation mit. Vor allem Kinder machten sich das Spiel und seine Regeln zu eigen und hatten offensichtlich große Freude daran, aktiv in den Spielverlauf einzugreifen.

Im Anschluss führte ein gemeinsamer, achtsamer Spaziergang zum Ladenlokal POP ME UP, in dem DU HAST DIE WAHL stattfand. Die Aktion lud Passant:innen am Rande einer Wahlkampfveranstaltung von Olaf Scholz dazu ein, mit anderen Menschen unter Zeitdruck Kompromisse für dringende gesellschaftspolitische Fragen zu finden, auf einem Meter ihre Meinung abzubilden oder ihr eigene Wahlplakat zu gestalten. Im Gegensatz zu zwischen:welten brauchte es hier die bewusste Entscheidung partizipieren zu wollen, den Schritt ins Ladenlokal, ein Grundwissen und Interesse an Politik und die Sprache, um die eigene Meinung zu äußern. Daraus entstand Austausch, Partizipation am politischen Diskurs für diejenigen, die diese Grundvoraussetzungen erfüllten. Während zwischen:welten so gesehen einen breiteren Rahmen schaffte, war dieser Rahmen jedoch so offen, dass mancher:m vielleicht gar nicht bewusst war, dass oder an was er:sie da eigentlich Teil gehabt hatte.

 

 

 

Mit SchnittStelle sind sicherlich keine bahnbrechend neuen Formate partizipativer Kunst entstanden. Doch ging es ja neben den Formaten auch um die Bedingungen und Prozesse, aus denen diese erwachsen können. Das gesamte Projekt war so konzipiert, dass alle Beteiligten von Anfang an einen größtmöglichen Gestaltungsraum hatten. Die Verhandlungen über die Gestaltung dieses Raumes setze sich in den Projekten innerhalb des Projektes fort. Im gemeinsamen Nachgespräch via Zoom benannten mehrere Teilnehmer:innen den generationsübergreifendenund interdisziplinären Austausch als wertvoll, da er unterschiedliche Methoden, Erfahrungen und Blickwinkel auf „Partizipation" mit sich brachte. Diese haben sich massiv im Projekt wieder gespiegelt. Ein wichtiger Aspekt für die meisten und vor allem jüngeren Beteiligten war awareness und damit verbunden die Frage, wie sichere(re) Räume als Grund- und Gelingensbedingung für Partizipation geschaffen werden können. Dies bedurfte immer wieder Austausch innerhalb der Gruppen und der Gesamtgruppe und so ist die Frage, ob mensch „zu viel partizipieren" kann, sicher den Erschöpfungszuständen nach 10 Tagen zum Teil intensiven Aushandlungsprozessen zu verdanken.

Wir sind ursprünglich damit gestartet, ein Produktionscamp für partizipative Kunstformate durchzuführen, haben uns dann aber noch viel grundlegender damit auseinandergesetzt, was Partizipation und Kunst eigentlich für den:die jeweils einzelne:n bedeutet und auf welche Arten beide zusammenwirken können. Der Anspruch, etwas zu gestalten, woran Menschen „von außen" teilhaben können, und der Anspruch, innerhalb der Gruppen partizipativ zu agieren, haben sich mehr und mehr vermischt. Am Ende standen neue Fragen im Raum: Braucht es – oder wieviele partizipative Formate braucht es, um partizipative Kunst zu erschaffen? Wie arbeiten wir miteinander? Aus welchen Arbeitsprozessen heraus öffnen wir uns für andere und lassen sie wiederum gestaltend mitwirken?


Genügend Stoff für SchnittStelle 2 wäre vorhanden.

ANJA KUNZ

leitet Projekte in den Bereichen Tanz, Theater, kulturelle und politische Bildung im soziokulturellen Zentrum die börse.

 

gefördert von

Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und LAG Soziokultur aus Mitteln des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.